Ethnien

frei gewählt und evolutionär bedeutsam

Nationale oder regionale Gruppen wie „Schweizer“, „Deutsche“, „Amerikaner“, „Russen“, „Asiaten“, „Zürcher“, „Berner“ oder „Vietnamesen“ können als Ethnien verstanden werden. Entscheidend dabei ist: Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie ist kein starres Merkmal, sondern oft eine Frage des persönlichen Empfindens. Diese subjektive Sichtweise spielt eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Miteinander – etwa beim Umgang mit Vielfalt oder der Frage nach Zugehörigkeit.

 

Ich selbst etwa fühle mich nicht gerne als „Schweizer“ oder „Berner“ bezeichnet – eher als „Bünder“, aber auch das trifft es nicht ganz. Es zeigt: Jeder Mensch darf selbst entscheiden, mit welchen kulturellen Identitäten er sich verbunden fühlt – oder eben nicht.

 

Ethnien selbst haben teils sehr stark ausgeprägte Eigenheiten – wie Sprache, Bräuche, Rituale oder spezifische Wertvorstellungen. Andere wiederum sind nur schwach konturiert und leben eher in verklärten Zuschreibungen oder Annahmen fort. Wir alle tragen viele ethnische Zugehörigkeiten in uns. Manche davon prägen unser Denken und Fühlen tief, mit anderen fühlen wir uns kaum oder gar nicht verbunden. Diese Mehrfachzugehörigkeit zeigt sich etwa darin, wie wir sprechen, feiern, leben oder auf welche Geschichte wir uns berufen.

 

Niemand hat das Recht, andere Menschen einer Ethnie zuzuordnen oder sie daraus auszuschließen. Solche Grenzziehungen sind problematisch – nicht selten führen sie zu Diskriminierung oder rassistischem Verhalten. Mir ist wichtig, dass dieser Grundsatz verstanden und respektiert wird.

 

Ethnien sind auch aus systemischer Sicht von großer Bedeutung: gerade weil sie keine festen, unveränderlichen Kategorien darstellen. Sie verändern sich, passen sich an, entwickeln sich weiter – im Dialog mit Umwelt, Geschichte und Selbstverständnis. Ein Beispiel: Viele ehemals stark sprachlich geprägte Ethnien verlieren mit der Globalisierung ihren linguistischen Kern, entwickeln dafür aber neue kulturelle Ausdrucksformen. Gerade diese Wandelbarkeit macht Ethnien so wertvoll für die evolutionäre Entwicklung der Menschheit.

 

In diesem Sinne können Ethnien als ein lebendiger Teil des Übergangs vom Homo Sapiens zum Homo Conscientius verstanden werden – jenem bewusst reflektierenden Menschen, der seine Zugehörigkeiten nicht nur erbt, sondern aktiv auswählt, gestaltet und immer wieder hinterfragt. Die Fähigkeit, sich selbst in einem vielfältigen kulturellen Kontext zu verorten und gleichzeitig die Vielfalt anderer zu respektieren, ist ein wesentliches Merkmal dieses neuen Menschentyps. Ethnien sind darin keine Grenze, sondern ein dynamisches Lernfeld: Sie fordern uns heraus,  fördern Empathie und schärfen unser Bewusstsein für die Komplexität menschlicher Identität in einer global vernetzten Welt.

Wissenschaftlicher Konsens zur Ethnizität

  • Subjektive Zugehörigkeit: Max Weber definierte ethnische Gruppen als solche, die durch den subjektiven Glauben an eine gemeinsame Abstammung und Kultur verbunden sind. Dieses subjektive Empfinden ist zentral für die Bildung ethnischer Identitäten. 
  • Konstruktivistischer Ansatz: Moderne Sozialwissenschaftler wie Fredrik Barth und Rogers Brubaker betonen, dass Ethnizität nicht auf objektiven Merkmalen basiert, sondern durch soziale Prozesse konstruiert wird. Ethnische Identitäten entstehen und verändern sich durch soziale Interaktionen und sind nicht festgelegt. 
  • Vielfalt der Zugehörigkeiten: Studien wie die Sinus-Migrantenmilieus zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund vielfältige Identitäten haben, die nicht allein durch ethnische Herkunft bestimmt werden. Lebensstile, Werte und soziale Milieus spielen eine bedeutende Rolle bei der Identitätsbildung.

Evolutionäre Bedeutung von Ethnien

 

Die Idee, dass die Wandelbarkeit von Ethnien zur evolutionären Entwicklung der Menschheit beiträgt, findet in der Wissenschaft Unterstützung. Stuart Hall argumentiert, dass kulturelle Identitäten dynamisch sind und sich ständig durch soziale und historische Prozesse verändern. Diese Flexibilität ermöglicht es Gesellschaften, sich an neue Herausforderungen anzupassen. citeturn0search22